Experteninterview: „Alleine übersteht man eine Krise nicht“

12. Mai 2020

Jürgen Schäfer ist der konzernweite Krisenmanager. Sein Job als Geschäftsführer der AGAPLESION FRANKFURTER DIAKONIE KLINIKEN ist erst einmal zurück gestellt – Corona lässt ihm dafür nur noch sehr wenig Zeit. Der zentrale Krisenstab konnte innerhalb weniger Tage einberufen werden. Hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte treffen fundierte Entscheidungen und bringen schnell Vorgehensweisen und Verfahrensanweisungen auf den Weg. „Davon profitieren wir als Einrichtung maximal“, meint Schäfer, und hebt das Engagement der motivierten Mitarbeitenden hervor: „Nur so können wir alle erforderlichen Ressourcen abdecken und sind der aktuellen Herausforderung gewachsen.“

Wie läuft ein Tag bei Ihnen ab?

Schäfer: Wir tauschen uns mehrfach täglich in unterschiedlicher Konstellation aus. Per Video- und Telefonkonferenzen und über siilo, einen medizinischen Messenger mit hoher Datensicherheit. Normalerweise dauern Entscheidungen deutlich länger, doch im zentralen Krisenstab müssen sie sehr schnell getroffen werden. Aufgaben können wir so schnell und gezielt verteilen, bekommen Informationen zurück, besprechen sie mit dem Vorstand und entscheiden. Eine Krise ist ein dynamischer Prozess, darum darf man nichts aufschieben.

Mussten Sie bei null anfangen?

Schäfer: Nein. Krankenhäuser verfügen über Pandemiepläne und absolvieren Gefahrenabwehrübungen – Mindeststandards sind also bereits vorgehalten: einen Krisenstab, Infrastruktur, Materialwirtschaft. Eine Krise ist zwar nicht planbar, aber wenn die Mindeststandards sofort aktiviert werden können, ist schon viel gewonnen.

Was bedeutet die Krise für Ihre Teams im Krankenhaus?

Schäfer: Einerseits herrscht eine extrem emotionale Anspannung, weil wir nicht abschätzen können, die befürchtete Infektionswelle – glücklicherweise – bisher ausgeblieben ist. Auf der anderen Seite eine bizarre Entspanntheit, weil das Arbeiten viel ruhiger geworden ist – zu ruhig. Stationen wurden geschlossen, planbare Operationen falls möglich verlegt, Überstunden werden abgebaut, Besuche bleiben so gut wie aus. Die Patienten reagieren bislang sehr verständnisvoll.

Wir hilfreich sind digitale Innovationen, wenn der Besuch von Angehörigen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen ausbleiben muss?

Schäfer: Zumindest können sie den Trennungsschmerz lindern. Dass ältere Menschen nicht mit technischen Hilfsmitteln umgehen können, ist falsch. Viele nutzen Skype, auch die App myo findet dankbare Abnehmer, um mit den Angehörigen zu kommunizieren. Die Krise hat da einiges vorangetrieben. Die Einrichtungen unterstützen die digitale Kommunikation und machen hier sehr viel möglich.

Schon vor der Krise standen Pflegekräfte im Fokus. Wie ist das inmitten der Krise?

Schäfer: Die Krise zeigt erneut, wie wichtig die Fachpflege im Bereich Krankenhaus und Wohnen & Pflegen ist. Gerade in der Versorgung von Bewohnern wird ja gern der Eindruck erweckt, dass jeder mit einer kurzen Schulung Senioren pflegen kann. Dem ist nicht so. Gerade in der Krise zeigt sich, dass hochqualifizierte Teams vonnöten sind, die mit der Situation umzugehen und die Maßnahmen umzusetzen wissen. Es geht um Senioren, eine äußerst vulnerable Risikogruppe, mit ganz speziellen Bedürfnissen! Im Krankenhaus zeigt sich das gleiche Bild: In Ballungsräumen haben wir kein Problem mit dem immer wieder angesprochenen Ärztemangel, sondern – und das ist coronaunabhängig – mit Fachpflegekräften.

Hinweis: Dieses Interview wurde Ende April 2020 geführt und spiegelt die damalige Situation wider.