Gesundheitstipp: Wenn Trauer nicht enden will

23. Oktober 2018

Der Verlust eines geliebten Menschen kann eine Wunde schlagen, die nur langsam verheilt. Manchmal verheilt sie nie. Wird Trauern dann zur Krankheit, zur „pathologischen Trauerreaktion“ ? Diese Frage beantwortet Prof. Martin Hambrecht, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Trauern ist eine natürliche Reaktion auf den Verlust einer nahestehenden Person und ihre Intensität lässt in der Regel mit der Zeit nach. Andere schwerwiegende persönliche Verluste können ebenfalls Gefühle der Trauer auslösen, die als mehr oder weniger angemessen betrachtet werden, etwa der Wegzug der einzigen Tochter in ein fernes Land oder der Tod der Katze. Nur langsam gelingt es, sich an die neue, unwiderruflich veränderte Lebenssituation anzupassen. Betroffene sind niedergeschlagen, können sich nicht freuen, verlieren Humor, Energie und Antrieb. Sie schlafen schlecht, hängen in Gedanken nur noch der Vergangenheit nach und können sich auf nichts anderes konzentrieren.

Wenn diese Symptome länger anhalten, kann Trauern zur Krankheit werden. Bis zu 10% der Trauernden dürften daran leiden. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen „normaler Trauer“ und einer „Trauerstörung“ sehr schwierig. Die Grenzen sind fließend. Die eigenen Erwartungen und Erfahrungen bestimmen hier sehr stark, was ein Betrachter als „normal“ empfindet.

Mögliche Kriterien, um normale und krankhafte Trauerreaktionen zu unterscheiden, sind Dauer, Leidensdruck und Einbußen in der Alltagstauglichkeit. Manche Fachleute sprechen bei einer Dauer von 6 Monaten, andere bei einer Dauer von 12 Monaten von einer anhaltenden Trauerstörung. Der Volksmund kennt das „Trauerjahr“ und hat damit intuitiv eine Faustregel definiert, die in der Regel passt.

Durch den subjektiven Leidensdruck wird Trauern zur Krankheit: Die Sehnsucht nach dem Verstorbenen hält intensiv an. Der Schmerz über den Verlust wird nicht geringer. Zu jeder Stunde begleiten einen die Gedanken an den verlorenen Menschen. Manchen fällt es so schwer, den Verlust zu akzeptieren, dass sie ihn nicht wahrhaben wollen. Manche verbittern oder bleiben anhaltend wütend über den Verlust. Sie empfinden sich als getrennt von anderen Menschen und sind überzeugt, dass ihr Leben nun leer und sinnlos ist. Sie meinen, ohne den Verstorbenen nicht mehr leben und nicht mehr funktionieren zu können.

Tatsächlich definiert auch das Defizit in der Alltagstauglichkeit, ob es sich um krankhafte Trauer handelt. Wer nach einem Todesfall viele Monate nicht mehr arbeiten kann, verwahrlost und das Haus nicht mehr verlässt, zeigt eine Unfähigkeit, das Ereignis zu bewältigen. Diese betroffene Person braucht Hilfe. Sie schafft es nicht alleine.

Wie überwindet man Verlust und wie lassen sich krankhaft anhaltende Trauerreaktionen verhindern und behandeln ? In der ersten Phase ist es wichtig, alle Gefühle zuzulassen, die sich nach dem Verlust einstellen. Schmerz, Angst und Wut mischen sich dabei häufig in die Trauergefühle hinein. Diese hinunter zu schlucken, erschwert langfristig nur die Bewältigung. In der zweiten Phase sollte Raum sein, alle Erinnerungen, Gedanken und Phantasien auszudrücken, die sich nun ergeben. Das kann auch in einer Selbsthilfegruppe geschehen, wie es sie z.B. für Eltern gibt, die ihr Baby verloren haben. In der dritten Phase sollte der Verlust seinen Platz in der eigenen Lebensgeschichte finden. Die Beziehung zum Verstorbenen, ihr Anfang und ihr Ende sollte in die Biografie integriert werden.

Psychotherapie kann dabei helfen, Vermeidungsverhalten abzubauen. Sie kann dazu anleiten, sich mit Erinnerungen zu konfrontieren und diese dann loszulassen. Schließlich hilft es niemals, sich als Opfer des Schicksals zu sehen. Vielmehr gilt es, die Realität zu akzeptieren, und sein Leben wieder in die Hand zu nehmen.