Leistenbruch (Hernia Inguinalis)

25. Februar 2015

In der Allgemein- und Visceralchirurgie werden Leistenbrüche (Hernioplastik, Herniorraphie, Hernienreparation) weltweit am häufigsten operiert. In Deutschland werden pro Jahr über 200.000 Operationen durchgeführt, in den USA sogar über 750.000.

Zu Zeiten der Nahtreparation mit der Behandlung sind ein stationärer Aufenthalt von etwa einer Woche, eine Krankheitsphase von circa 3 bis 6 Wochen und eine körperliche Schonzeit von bis zu 3 Monaten verbunden. Daher hat diese Erkrankung nicht zuletzt einen hohen volkswirtschaftlichen Stellenwert. Eine effektive und effizientere Therapiemethode kann einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Senkung der Kosten im Gesundheitssystem liefern.

Ursache

Im Unterschied zum Knochenbruch ist der Leistenbruch nicht Folge eines Unfalles mit Gewebezerreißung, sondern die Ursache ist eine angeborene Gewebeschwäche (Bindegewebe, möglicherweise aufgrund einer Kollagenstoffwechselstörung). Diese kann entweder sofort (angeborener Bruch) oder im weiteren Lebensverlauf zur Bruchbildung führen, wenn der Leistenkanal zunehmend belastet wird. Er bildet einen bei jedem Menschen vorhandenen Schwachpunkt in der Bauchdecke. D. h. es kommt entweder direkt durch die Hinterwand (Bruchpforte) des Leistenkanals (direkter oder medialer Bruch) oder durch den inneren Leistenring und dem Leistenkanal folgend (indirekter oder lateraler Bruch) zu einer Ausstülpung des Bauchfelles (Bruchsack) nach außen unter die Haut. In den Bruchsack können Anteile von Bauchorganen (in der Regel Darm, aber auch Harnblase und Bauchnetz) gelangen (Bruchinhalt).

Sichtbar wird der Bruch als Vorwölbung in der Leistenregion. Kann die Vorwölbung beim liegenden Patienten wieder in die Bauchhöhle zurückgedrängt werden, spricht man von einem reponierbaren, ansonsten von einem irreponiblen Bruch. Kommt es akut zu einem Verlagern von Darmanteilen in den Bruchsack und lassen sich diese nicht wieder in die Bauchhöhle zurückdrängen, sprechen wir von einer Einklemmung (Inkarzeration). Jede Einklemmung muss umgehend zum Arzt führen. Verursacht die Einklemmung eine akute Durchblutungsstörung des Darmes (Strangulation), besteht absolute Lebensgefahr und es muss sofort operiert werden.

Symptome

Die Symptome sind sehr unterschiedlich. Viele Patienten beobachten eine Vorwölbung in der Leistenregion, haben jedoch keinerlei Beschwerden. Andere verspüren nur ein Unbehagen oder ein gewisses „Ziehen“ oder „Drücken“ bei schwerer körperlicher Belastung. Andere haben bereits Schmerzen bei geringfügiger Belastung und fühlen sich erheblich in ihren körperlichen Aktivitäten behindert. Wird die Vorwölbung plötzlich hart, macht heftige Schmerzen und ist nicht mehr wegdrückbar (reponierbar), besteht dringlicher Verdacht auf eine Einklemmung. Nicht wenige Patienten klagen über Schmerzen, ohne dass eine Vorwölbung sichtbar ist. Von besonderer Bedeutung ist die sogenannte Sportlerleiste, vor allem bei Fußballern. Hier geben die Sportler zum Teil heftigste Schmerzen in der Leiste an, ohne dass eindeutig ein Bruch feststellbar ist, häufig nur ein erweiterter Leistenring (Eingang zum Leistenkanal) mit einem Druckschmerz in diesem Bereich.

Therapie der Wahl

Eine Therapie des Leistenbruchs ist angezeigt (indiziert) bei Beschwerden, bei allmählicher Größenzunahme, bei Irreponibilität und akuter Einklemmung. Die Therapie der Wahl ist die Operation. Ein Bruchband ist keine kausale Behandlung des Bruches; es kann im besten Fall lediglich die Größenzunahme verhindern und einer Einklemmung vorbeugen. Aufgrund der Unbequemlichkeit und möglicher Hautschäden ist das Bruchband nur angezeigt bei Patienten, die aufgrund hoher Risikofaktoren absolut nicht für eine Operation in Frage kommen (Kontraindikation) oder die Operation ablehnen.

Operationstechnik

Seit Eduardo Bassini (Arch Soc Ital Chir 1887;4:380) ist das wesentliche Prinzip der Operationstechnik die Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals, sei es durch Naht oder durch Einsatz von Fremdmaterial. Unter einer enormen Vielzahl von Techniken haben sich heute weltweit lediglich drei durchgesetzt:

  1. die Nahtreparation nach Bassini/Shouldice,
  2. die „spannungsfreie“ Operation mit Verstärkung (Augmentation) durch Einsatz eines Kunststoffnetzes (alloplastisches Material) von außen / vorn (Schnitt, anterior, Lichtenstein sowie
  3. die „spannungsfreie“ Reparation mit Einsatz eines Netzes von innen / hinten (minimal-invasiv, posterior) – entweder über den transabdominellen Zugang (TAPP=Transabdominale Präperitoneale Patchplatik, laparoskopische Hernioplastik) oder über ein vollständig extraperitoneales Vorgehen (TEP = Totale Extraperitoneale Patchplastik, endoskopische Hernioplastik) ohne Eröffnung der Bauchhöhle. Beide minimal-invasive Techniken unterscheiden sich nur bezüglich des Zugangs zur Leistenregion, die Reparation selbst ist gleich.

Bei Berücksichtigung aller individuellen (lokaler Hernienbefund, Körperbau des Patienten, Ausbildungsstand des Chirurgen in der jeweiligen Methode), sozialen und ökonomischen Gesichtspunkte gibt es keine universale, für alle Patienten optimale Operationstechnik. Die Nahttechnik ist vergleichsweise einfach und kostengünstig, hat aber eine Rezidivrate (Wiederholungsbruch) im Langzeitverlauf selbst in Expertenhänden von über 11 Prozent (Junge K., Schumpelick V. et al.: Hernia 2006;10:309-315; Van Veen R.N.et al.: Br.J.Surg.2007;94:506-510).

Mit der Lichtensteinoperation kann zwar die Rezidivrate drastisch in einen Bereich zwischen 2 bis 4 Prozent gesenkt werden, hat aber den Nachteil eines mehr oder weniger großen Schnittes in der Leiste (4 bis10 Zentimeter) mit Durchtrennung von gesundem Gewebe. Außerdem ist ein direkter Kontakt zwischen den Leistennerven (Inguinalnerven: N. ileoinguinalis, N. genitofemoralis,N. hypo-gastricus) sowie den durch den Leistenkanal ziehenden Samenstranggebilden (Samenstrang = Ductus deferens, Blutgefäße für den Hoden) und dem Netz (Fremdmaterial) nicht zu vermeiden mit dem Risiko, dass diese in die übliche Fremdkörperreaktion miteinbezogen werden. Weiterhin ist kritisch anzumerken, dass die Lichtensteinmethode physikalisch nur im Liegen völlig spannungsfrei ist. Beim Aufstehen und bei Belastung wirkt der Bauchinnendruck weiterhin auf den schwachen Leistenbereich und würde das Netz wegdrücken, wenn es nicht durch die wieder zusammengenähte körpereigene Externusaponeurose und durch weitere Nähte in Position gehalten würde.

Nicht zuletzt aufgrund der genannten Nachteile wird verständlich, dass nach Literaturangaben nach einer Lichtensteinoperation in bis zu 30 Prozent der Patienten mit chronischen Beschwerden zu rechnen ist (Poobalan et al.: Br.J.Surg. 2001;88:1122-1126;Bay-Nielsen et al.: Br.J.Surg.2004;91:1372-1376).

Die laparoskopische Technik (TAPP,TEP) dagegen ist absolut spannungsfrei, auch unter Belastung. Sie wirkt nach dem physikalischen Prinzip von Pascal, vorausgesetzt alle möglichen Bruchpforten werden mit einem ausreichend großen Netz und einer Überlappung von mehr als 3 bis 5 Zentimetern abgedeckt (Mindestgröße 10 x 15 Zentimeter). Eine Fixierung des Netzes ist prinzipiell nicht notwendig, wenn doch, dann um ein Verrutschen (Dislokation) unmittelbar während bzw. sofort nach der Operation zu verhindern. Die Fixierung erfolgt in der Regel nicht-invasiv mit Klebung, um keine wichtigen Strukturen, im besonderen Nerven, zu verletzen. Zu erwähnen ist weiterhin, dass in dem präperitonealen Raum, in den das Netz eingebracht wird, Nerven und Samenstranggebilde von einer feinen Bindegewebeschicht (Faszia spermatica) geschützt sind, so dass ein direkter Kontakt zum Netz zu vermeiden ist.  Nach diesen Vorbemerkungen wird plausibel, dass nach laparoskopischer Hernienreparation sowohl mit einer niedrigen Rezidivrate als auch mit weniger Beschwerden im Langzeitverlauf zu rechnen ist.

Der Nachteil dieser neuen patientenfreundlichen Technik ist ihr Schwierigkeitsgrad. Ein intensiver Lernprozess ist selbst für den bereits fortgeschrittenen Chirurgen unbedingt erforderlich, um erfolgreich zu sein und im Besonderen auch Komplikationen zu vermeiden. Hinzu kommt die notwendige technische Ausrüstung für die videoendoskopische Operation (Endoskopie / Laparoskopie-Turm) mit entsprechenden Instrumenten, die in der Regel nur in Krankenhäusern mit auch anderen laparoskopischen Operationen (z. B. Cholezystektomie) vorhanden sind und in Praxen mit ambulanter Operationstätigkeit auch aus Kostengründen nicht vorgehalten werden können.

 

Autor:
Dr. med. Matthias C. Raggi, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, AGAPLESION BETHESDA KRANKENHAUS STUTTGART

Quelle:
http://www.bethesda-stuttgart.de/fileadmin/BKH_Stuttgart/PDF/OPERATIONEN/AGAPLESION_STUTTGART_OP_Leistenbruch.pdf

Weitere Informationen:
http://vimeo.com/33601051

Abbildung 1 Leistenbruch

Abbildung 2 Leistenbruch

Abbildung 3 Bruchsack

Abbildung 4 Operationstechniken

Das Netz wirkt nach dem physikalischen Prinzip von Pascal