Menschen mit Demenz im Krankenhaus – Nur Probleme, keine Lösungen?

18. Dezember 2017

Ethiksymposium am AGAPLESION Elisabethenstift

„Menschen, die an Demenz erkrankt sind, und zu uns ins Krankenhaus kommen, bedürfen unserer Hilfe und wir müssen uns auf sie einlassen“, sagt Dr. Fabian Schneider, leitender Oberarzt der Klinik für Geriatrische Medizin am AGAPLESION Elisabethenstift. Das E-Stift hatte Mitarbeiter, Seelsorger und Interessierte, die mit Demenzkranken arbeiten, zu dem Ethiksymposium  „Menschen mit Demenz im Krankenhaus – Nur Probleme, keine Lösungen?“ eingeladen. Referenten an diesem Nachmittag waren neben Dr. Fabian Schneider, PD Dr. med. Mathias Pfisterer und Dr. Kurt Schmidt, Pfarrer vom Zentrum für ETHIK in der Medizin am AGAPLESION Markus Krankenhaus in Frankfurt.
„Das Krankenhaus ist ein gefährlicher Ort für Menschen mit Demenz“, so Dr. Fabian Schneider weiter. Denn im Krankenhaus treffen verwirrte und verzweifelte Kranke, die eine vertraute Umgebung und Ruhe brauchen,  auf schnell wechselndes Personal in Zeitnot. Die Folge: herausforderndes Verhalten der Patienten, schlechte Heilungsverläufe und gestresstes Personal. Dass die Notwendigkeit zum Handeln besteht zeigen die Zahlen, denn immerhin haben etwa 20 Prozent aller Menschen, die in einem Krankenhaus behandelt werden,  Demenz.
Prägnant brachte der Zusammenschnitt einer Folge der US-Arzt-Serie Emergency Room, den Dr. Kurt Schmidt, mitgebracht hatte, das Problem auf den Punkt: Eine verwirrte, ältere Frau wird von der Polizei in das Krankenhaus gebracht, niemand kennt ihren Namen oder gar ihre Geschichte. Einerseits versuchen die meisten den Umgang mit ihr zu vermeiden, weil Ihnen die Zeit fehlt, andererseits sind sie hilflos und wissen nicht, wie sie auf sie eingehen sollen.  Nur ein junger Arzt, der sich Zeit nimmt und sich auf ihre emotionale Ebene begibt, findet einen Zugang zu ihr.
Die Schlussfolgerung aus dem Film entspricht der Erfahrung der beiden Ärzte: Menschen mit Demenz brauchen einen respektvolle Haltung der Umgebung, emotionale Ansprache, Vertrautheit und Kontinuität. „So lange nach DRGS abgerechnet wird, wird man diesen Menschen nicht gerecht werden können“, so der Einwand einer Zuhörerin. Dr. Pfisterer stimmte ihr zu und gab zu bedenken, dass eine Änderung der Fallpauschalen den notwendigen  Strukturwandel beschleunigen würde. „Wir in der Geriatrie brauchen high-touch statt high-tech. Aber leider läuft unser Abrechnungssystem diametral dagegen.“
Für das medizinische Personal bedeutet der Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen eine hohe Belastung. „Sie haben viele zufriedene Mitarbeiter, wenn sie diese Menschen meiden.“ Dass das nicht der Weg sein kann, zeigen Bestrebungen, die es in einigen Krankenhäusern gibt und die Dr. Fabian Schneider aufzeigte. „Das evangelische Krankenhaus in Bielefeld hatte bereits 2012 das Help-Programm (hospital elder life program) bei sich im Haus etabliert“, erklärte er. Geschulte Freiwillige begleiten dort kognitiv eingeschränkte Menschen an sieben Tagen in der Woche von 8 bis 20 Uhr. Fünf Mal am Tag besuchen sie die Patienten und strukturieren so den Alltag und schaffen Vertrautheit. Das Ergebnis: Die Zahl der Patienten, die  herausforderndes Verhalten zeigten,  nahm deutlich ab. Ein Projekt aus Münster hatte das Ziel, das Delir-Risiko zu senken. Es ist  bekannt, dass ein Delir die kognitiven Fähigkeiten eines Patienten weiter verschlechtert und die Komplikationsrate deutlich erhöht.  Auch hier lag der Schlüssel in der Begleitung der Patienten vor und nach der Operation. Das Ergebnis hier: Die Delirate reduzierte sich von elf auf sechs Prozent. Auch im AGAPLESION Bethanien Krankenhaus in Heidelberg gibt es seit 2006 eine spezielle Station für an Demenz erkrankte Menschen. Auch dort wird auf festes Personal und eine klare Tagesstruktur mit motivierenden Angeboten geachtet. Im Elisabethenstift wird im Januar eine Station für akut-erkrankte Menschen, die an Demenz erkrankt sind, eröffnet.  „Wir haben hier Platz für 13 Patienten. Uns ist schon klar, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist“, so Dr. Fabian Schneider. Aus diesem Grund soll sich das gesamte Krankenhaus zu einem demenzsensiblen Krankenhaus entwickeln. Dann wird es auf jeder Station spezielle Zimmer für diese Patienten geben. Im Januar beginnen die Schulungen für alle Mitarbeiter im Haus. Jeder soll lernen, den Menschen hinter dem herausfordernden Verhalten zu sehen. „Das wird die größte Herausforderung werden und es wird einige Zeit dauern, bis wir eine Durchdringung haben“, sagte Dr. Pfisterer. „Es liegt auf der Hand, was wir tun müssen. Wir brauchen Wissen und eine Haltung. Die Schulung der Mitarbeiter ist der Schlüssel zum Gelingen“, ergänzte Dr. Schneider.
Trotz aller Bemühungen im Krankenhaus: Einig waren sich Referenten und Zuhörer auch darin, dass die ambulanten Betreuungsangebote für Menschen mit Demenz optimiert werden müssen, um Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akteuren muss verbessert werden und Angehörige geschult. „Niemand würde jemals auf die Idee kommen einen Säugling unbegleitet und ohne Informationen in ein Krankenhaus einliefern zu lassen. Mit an Demenz erkrankten Menschen wird es gemacht. Das muss sich ändern“, sagte Dr. Schneider.  „Diese Diskussion ist eine gesellschaftliche, nehmen Sie es mit nach draußen“, gab Dr. Mathias Pfister den Gästen mit auf den Heimweg.