16. Februar 2022
Im Weaning-Zentrum des Diakonissenkrankenhauses Leipzig arbeiten die Fachbereiche Intensivmedizin, Pneumologie, Atmungstherapie sowie Physiotherapie eng zusammen, um Menschen nach längerer invasiver Beatmung wieder zum eigenständigen Atmen zu bringen. Nicht in jedem Fall gelingt eine solche Entwöhnung, aber doch in den meisten Fällen. So können rund zwei Drittel der Weaning-Patienten ohne Beatmungshilfe von der Intensivstation des Diakonissenkrankenhauses entlassen werden. Patienten, die trotz stationärer Entwöhnungstherapie auf ein Beatmungsgerät angewiesen bleiben, werden weiterhin strukturiert im Weaning-Zentrum betreut und die Notwendigkeit der Beatmungstherapie regelmäßig überprüft.
Diese Erfahrungswerte decken sich mit einer umfangreichen Registerstudie der Initiative WeanNet, in die rund 11.000 Weaning-Patienten einbezogen worden sind, die von 2011 bis 2015 bundesweit behandelt wurden. Ergebnis auch hier: In Spezialzentren konnten zwei Drittel der Patienten erfolgreich von der Beatmung entwöhnt werden.*
„Die Entwöhnung von der Beatmung gehört zwar auf allen Intensivstationen zum Standard, doch es erfordert gerade in schwierigen Fällen und bei chronischen Verläufen sehr viel Erfahrung und gelingt deshalb nicht immer gleichgut“, erläutert Dr. Thomas Blankenburg, der als Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Kardiologie auch die Weaning-Behandlung im Diakonissenkrankenhaus verantwortet. „Werden beatmete Patienten vor einer Entlassung gleich in einer spezialisierten Einrichtung adäquat weiterversorgt, erspart man ihnen häufig einen langen Leidensweg mit künstlicher Beatmung.“
Um die Weaning-Situation in Deutschland weiter zu verbessern, verabschiedete der Gesetzgeber bereits im Oktober 2020 das „Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz“. Darin wurde erstmals die Notwendigkeit einer qualifizierten ärztlichen Einschätzung zum Beatmungsstatus und zum Entwöhnungspotenzial als Bestandteil der Krankenhaus-Behandlung festgelegt. Erfolgt dies nicht, muss ab 2022 mit Vergütungsabschlägen gerechnet werden. So sieht es eine zusätzliche Vereinbarung vor, die zum 1. April 2022 wirksam wird (B-BEP-Abschlagsvereinbarung vom 26.10.2021). Das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz regelt auch, dass im Rahmen des Entlassmanagements eine Anschlussbehandlung in einem anderen Krankenhaus verordnet werden kann. Auf diese Weise soll möglichst vermieden werden, Beatmungspatienten zu früh in eine außerklinische Intensivpflege zu verlegen.
„Durch diese neue gesetzliche Lage sind künftig alle Kliniken verpflichtet, mehr fachliche Expertise einzuholen, ob und wie ein Patient vom Beatmungsgerät entwöhnt werden kann“, sagt Chefarzt Dr. Blankenburg. „Da ein prolongiertes Weaning in der Regel sehr zeitintensiv ist, können diese Forderungen kaum auf normalen Intensivstationen erfüllt werden. So dauert eine Beatmungsentwöhnung in unserem Haus im Durchschnitt 15 bis 20 Tage, manchmal auch zwei Monate.“
Während der Pandemie ist die Zahl der Patienten mit invasiver Beatmung im Leipziger Diakonissenkrankenhaus stetig gestiegen. Lag die Gesamtzahl im Jahr 2020 noch bei 47, so hat sie sich in diesem Jahr allein bis Oktober auf 88 nahezu verdoppelt. Auch wenn eine Entwöhnung von der Beatmung in den meisten Fällen gelingt, so verbleibt doch etwa ein Drittel der Patienten, die auch nach ihrer Entlassung weiterhin außerklinisch beatmet werden müssen, etwa in einem Pflegeheim.
Die gesetzliche Neuregelung sieht hierbei auch eine finanzielle Verbesserung für die Patienten vor, die trotz intensiver Entwöhnungsversuche möglicherweise lebenslang eine Beatmung benötigen. Der Leipziger Pneumologe Dr. Thomas Blankenburg sieht an dieser Stelle aber weiteren Optimierungsbedarf: „Es wäre durchaus sinnvoll, alle außerklinisch beatmeten Patientinnen und Patienten regelmäßig in spezialisierten Weaning-Zentren zu untersuchen. Vermutlich könnten dadurch noch mehr Menschen in ein selbstbestimmtes Leben zurückfinden.“
Das Weaning-Zentrum im Diako umfasst vier Weaning-Spezialbetten auf der Intensivstation sowie acht bis zehn Spezialbetten auf Normalstation. Fachlich geleitet wird es gemeinsam vom pneumologischen Chefarzt Dr. Thomas Blankenburg und vom Leitenden Oberarzt der Intensivstation, Dr. Alexander Rothe. Zur Behandlung von atmungsspezifischen Störungen kombiniert das interdisziplinär besetzte Team, bestehend aus erfahrenen Internisten und Intensivmedizinern sowie Atem- und Physiotherapeuten, verschiedene therapeutische Maßnahmen. Dabei steht eine allgemeine körperliche Kräftigung ebenso im Fokus wie ein Training der Atemmuskulatur und des Hustenstoßes sowie eine Behandlung von Bewusstseins- und Schluckstörungen.
Das Weaning-Zentrum des Diakonissenkrankenhauses Leipzig bereitet sich derzeit auf eine Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin vor, die für Anfang 2022 geplant ist. Bereits in diesem Jahr erfolgte eine Auditierung durch die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, in der das Zertifikat „Entwöhnung von der Beatmung“ erlangt werden konnte. Dieses Gütesiegel ist eine wichtige Voraussetzung für eine Zertifizierung als Weaning-Zentrum.
*Wolfram Windisch, Dominic Dellweg, Jens Geiseler, Michael Westhoff, Michael Pfeifer, Stefan Suchi, Bernd Schönhofer: Prolongiertes Weaning von der mechanischen Beatmung, Deutsches Ärzteblatt, Jg.117, Heft 12 vom 20. März 2020