Wirbelkörpererkrankungen

25. Februar 2015

Die Wirbelsäule verdient unsere Achtung, Pflege und Wertschätzung. Mit dem Stützen des Rumpfes und dem Schutz des Rückenmarkes sind ihre Aufgaben noch lange nicht erschöpft. Sie bietet zum Beispiel einer großen Anzahl von Muskeln und Knochen einen Ansatzpunkt für deren Funktionen an Kopf, Brustkorb, Bauch, Becken, Armen und Beinen.

Zwischen den Wirbelkörpern liegt fast überall eine Bandscheibe. Zusammen mit den Wirbelgelenken sorgt sie für die Beweglichkeit der Wirbelelemente. Das Rückenmark führt die Nerven für Arme, Brustkorb, Becken und Beine. Die jeweiligen Nerven werden in verschiedenen Höhen vom Rückenmark aus der Wirbelsäule abgegeben; aus der Halswirbelsäule die Nerven der Arme, aus der Lendenwirbelsäule die Nerven der Beine. In der einen Richtung geben diese Nerven Befehle an die Muskeln weiter, und in die andere Richtung leiten sie Empfindungsreize wie Tasten, Temperaturempfindungen und Schmerz.

Welche Krankheitsbilder gibt es?

1. Unfälle, Osteoporose und Metastasen ...

... können dafür sorgen, dass die Wirbelkörper brechen. Das kann zumindest erhebliche Schmerzen zur Folge haben, die im besten Fall nach einigen Wochen bzw. wenigen Monaten wieder verschwinden können, wenn der Bruch verheilt ist.

Es gibt jedoch auch viele Situationen, in denen die Brüche zur Instabilität führen und damit eine Buckelbildung, eine dauerhafte Instabilität oder sogar eine Verletzung oder Einengung des Rückenmarks und dessen Nervenfasern nach sich ziehen. Dies bringt schwerwiegende Folgen mit sich, die durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können.

Ob ein nicht-operatives Vorgehen, eine Zementierung des gebrochenen Wirbels oder einen Versteifung mehrerer Wirbel sinnvoll ist, hängt von der Form des Bruches und mehreren weiteren Faktoren ab. Jede Wirbelverletzung sollte daher von einem Facharzt gesehen und beurteilt werden, der sich mit den verschiedenen Therapiemöglichkeiten an der Wirbelsäule auskennt. Denn es müssen nicht nur die Entscheidungen für die akute Behandlung der Wirbelbrüche getroffen, sondern auch die notwendigen Nachbehandlungen z. B. zur Therapie der Osteoporose oder der Metastasen eingeleitet werden.

2. Der Verschleiß der Wirbelelemente ...

... ist etwas, das zu unserem Leben dazugehört. Dieser Verschleiß betrifft die Bandscheiben und Wirbelgelenke ebenso wie Knie- oder Hüftgelenke. Der Verschleiß ist im Gegensatz zu den Brüchen ein langsamer Prozess, zumeist über Jahre und Jahrzehnte. In diesem Prozess wechseln Phasen mit wenigen Beschwerden und Phasen mit vielen Schmerzen einander ab. Das können Verspannungen, Rückenschmerzen oder der „Hexenschuss“ sein. Die erste Wahl der Therapie sind in der akuten Schmerzphase Schmerzmedikamente, Schonung und Wärme. Im Weiteren sollten sich dann nach krankengymnastischer Anleitung tägliche(!) Eigenübungen(!) zur Kräftigung der Rücken- und Rumpfmuskulatur anschließen. Die Wirbelsäule hält sich nicht alleine, sondern sie wird gehalten durch ein „Korsett“ von Muskeln. Sind diese gut trainiert und wissen diese, wie sie arbeiten sollen, können viele Verschleißbeschwerden vermieden werden.

3. Einengungen im Wirbelkanal ...

... und damit eine Einengung des Rückenmarks oder der Nerven können durch langsame Verschleißerscheinungen entstehen. Dabei baut der Körper Knochen im Bereich der Wirbelgelenke oder auch rund um die Bandscheiben an. Auch die Vorwölbung der Bandscheiben kann die Engen verursachen. Auf Dauer können Nacken- und Armschmerzen (ausgehend von der Halswirbelsäule) oder Rücken- und Beinschmerzen (ausgehend von der Lendenwirbelsäule) entstehen. In schwerwiegenden Fällen hat die Einengung der Nerven sogar Kraftschwächen, Einschränkungen der Gehstrecke oder Lähmungserscheinungen zur Folge.

4. Der Bandscheibenvorfall ...

... ist zumeist auch eine Form des Verschleißes, bei dem in kurzer Zeit verschlissenes Material aus dem Bandscheibenraum austritt. Solange weder in Bein oder Arm dauerhafte, ausstrahlende Schmerzen oder gar Kraftlosigkeiten vorhanden sind, bedarf diese Situation zumeist keiner chirurgischen Maßnahme. Sind jedoch bedingt durch den Kontakt des Bandscheibenvorfalls mit den Nerven oder dem Rückenmark Kraftlosigkeiten oder Lähmungen verbunden, ist eine sofortige Vorstellung beim Wirbelsäulen-Spezialisten notwendig. Dies betrifft auch Fälle längerfristiger Schmerz-Ausstrahlungen in Arme oder Beine sowie in Fälle von Schmerzen, die z. B. mit Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen sind.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

1. Eine Therapie ...

... sollte nicht nur viel nützen, sondern auch wenig schaden. Sofern keine Gefahr im Verzug ist, z. B. durch Brüche oder Lähmungen, sollten zunächst jene Therapien zum Zuge kommen, die keine Einbahnstraße sind; das sind kurzfristig eingenommene Medikamente, Physiotherapie und (sollte das nicht helfen) gegebenenfalls auch gezielte Injektionen. Die Operation sollte bei den nicht dringlichen Notwendigkeiten erst am Ende der Therapie stehen.

Eine Chronifizierung der Schmerzen (so dass diese dauerhaft bleiben) durch ein Hinauszögern der jeweils sinnvollen Therapie sollte aber vermieden werden, da derartige Krankheitsbilder nur noch sehr schwer behandelt werden können.

2. Die Therapie des Schmerzes ...

... ist die erste Maßnahme. Neben den verschiedenen Klassen der Schmerzmedikamente, die meist schon der Hausarzt zur Therapie einsetzt, stehen auch alternative Möglichkeiten (z. B. Akupunktur oder TENS) durch die niedergelassenen Facharztkollegen zur Verfügung, sofern es sich um Verschleißerscheinungen der Wirbelelemente oder Verspannungen der Muskulatur handelt.

3. Auch die Physiotherapie ...

... sollte (außer bei Wirbelbrüchen, Metastasen, Infektionen und frischen Bandscheibenvorfällen) kurzfristig eingesetzt werden. Schmerzlindernde Therapieformen werden hierbei mit aktivierenden Übungen kombiniert. Die Aktivierung der Muskulatur sollte dabei nach entsprechender Anleitung zuhause fortgesetzt werden. Die Osteopathie kann den Erfolg der Therapie gegebenenfalls unterstützen.

4. Gezielte Injektionen ...

... kommen dann zum Einsatz, wenn die Schmerzbesserung durch die vorher genannten Therapiemöglichkeiten nicht erfolgreich ist. Diese Injektionen werden meist mit örtlichen Betäubungsmitteln und unter Röntgen- oder CT-Kontrolle durchgeführt. Damit können Wirbelgelenke, Kreuz-Darmbein-Gelenke und Nerven an der Wirbelsäule angespritzt werden. Je nach appliziertem Medikament können damit im besten Erfolgsfall Schmerzbesserungen von Stunden, Tagen oder auch mal mehreren Wochen erzielt werden. Eine Besserung der Verschleißerscheinungen ergibt sich dadurch natürlich nicht.

5. Die Zementierung von Wirbelkörpern ...

... (genannt Kyphoplastie und Vertebroplastie) ist eine Option, wenn ein Wirbelkörper z. B. durch Osteoporose relativ frisch gebrochen oder bedingt durch Metastasen bruchgefährdet ist. Unter röntgenologischer Kontrolle wird bei dieser Methode durch eine dünne Hohlnadel zähflüssiger Knochenzement in den betreffenden Wirbelkörper eingebracht, der dann in den folgenden 15 Minuten aushärtet. Im Falle der Kyphoplastie wird zuvor über dieselbe Hohlnadel Platz für den Zement geschaffen und der Wirbelkörper gegebenenfalls sogar wieder teilweise aufgerichtet.

Die Zementierung stabilisiert den Wirbelkörper von innen und verringert damit die Wahrscheinlichkeit seines weiteren Zusammenfallens. Darüber hinaus zeigt sich bei der überwiegenden Anzahl der so versorgten Patienten eine erhebliche Schmerzerleichterung.

6. Die Dekompression an der Wirbelsäule ...

... beschreibt das chirurgische Erweitern der bindegewebigen und knöchernen Strukturen rund um die Nervenstrukturen. Dies kann in Fällen der Nerven-Einengung (z. B. ausgeprägte Spinalkanal-Enge) notwendig sein. Dabei werden Anteile des Bindegewebes und gegebenenfalls der Knochen entfernt. Im Falle von Bandscheibenvorfällen erfolgt die Erweiterung zumeist nur durch das Entfernen des vorgefallenen, verschlissenen Materials.

Je nachdem, wie umfangreich die Entfernung von Bindegewebe und Knochen ist, resultiert daraus eine Instabilität der betroffenen Wirbelelemente. Daher ist in einigen Fällen die Kombination mit einer Versteifung zweier oder mehrerer Wirbel sinnvoll.

7. Die Versteifung mehrerer Wirbel ...

... ist keine Erfindung der Chirurgen. Diese haben sich das von der Natur abgeschaut. Die Natur erzielt die Versteifung durch Verknöcherung der Wirbelgelenke und den knöchernen Überbau der Bandscheiben.

Instabile Wirbelelemente verursachen häufig Schmerzen. Die Stabilisierung kann hier helfen. Oft wird dabei die technische Stabilisierung (z. B. durch Schrauben und Stäbe oder Platten) mit der biologischen Stabilisierung (z. B. durch Knochenspananlagerung) von zwei oder mehreren Wirbeln kombiniert.

Bei Wirbelbrüchen wird diese Methode ebenfalls erfolgreich eingesetzt. Ohne die biologische Versteifung kann es nach Heilung des gebrochenen Wirbels notwendig werden, in einer weiteren Operation nach mehreren Monaten die Versteifungsimplantate wieder zu entfernen.

8. Wirbelkörper zu ersetzen ...

... kann notwendig werden, wenn sie keinerlei Stabilität für die Säule der anderen Wirbel mehr bieten bzw. wenn sie ausgedehnt, infiziert oder tumorös durchsetzt sind. Hierbei werden die Wirbelkörper entfernt und durch Implantate, körpereigenen oder körperfremden Knochen ersetzt. Eine zusätzliche Stabilisierung durch eine Versteifung der Nachbarwirbel ist dabei notwendig.

Derartige Eingriffe sind aufwändig und oft mit mehreren Zugängen verbunden (z. B. Versteifung von Rückenseite und Wirbelkörperersatz über die Flanke oder den Bauchraum).

Die beste Therapie für die Wirbelsäule ...

... finden sie in Zusammenarbeit mit Ihrem Wirbelsäulen-Spezialisten. „So wenig Schaden wie möglich und so viel Therapie wie nötig.“

 

Autor:
Dr. med. Jens Richolt, Orthopäde und Wirbelsäulenchirurg, Chirurgisches Zentrum am AGAPLESION BETHANIEN KRANKENHAUS